Häuser erzählen Geschichten
Mit sichtlichem Stolz und Selbstbewusstsein blickt der Textilwarenhändler und Weißwarengeschäfts-Inhaber Wilhelm Philipp Erhard in die Kamera. Umrahmt von seinen Mitarbeitern steht er im Eingang des Geschäfts in der Fürther Sternstraße 5 (vorne rechts auf dem Bild), jener Straße, die seit 1977 den Namen seines Sohnes Ludwig trägt, der dort am 4. Februar 1897 das Licht der Welt erblickte. Berühmt wurde Ludwig Erhard natürlich als „Vater der Sozialen Marktwirtschaft und des Wirtschaftswunders“, obwohl er selbst diese Bezeichnung nicht besonders mochte.
Sein „Vater Wilhelm Philipp war ein Bauernbub aus der unterfränkischen Rhön, der mit großem Fleiß sein Glück in der florierenden Industriestadt Fürth machte. Die Mutter Augusta, eine Fürther Handwerkstochter, arbeitete trotz ihrer fünf Kinder ständig im Geschäft mit und vermittelte dem kleinen Ludwig – wie er sich später erinnerte – eine ,Atmosphäre bürgerlicher Beschaulichkeit und Sorglosigkeit‘“, so schildert die Stadt Fürth die Abstammung ihres berühmten Sohnes.
Das Ehepaar Erhard gehörte also mit ihrem Wäsche- und Ausstattungsgeschäft zur soliden Mittelschicht. Auch die junge Elisabeth Bock, die im Februar 1915 als „Mädchen für Küche und Haus“ zur Fürther Kaufmannsfamilie kam, kann sich noch gut an den späteren Bundeskanzler erinnern. Schließlich gehörte es im Kaiserreich zum guten Ton, Hausangestellte zu beschäftigen, die sich auch um den Nachwuchs der Familie kümmerten. Ludwig war damals allerdings schon 18 Jahre alt, lebte anfangs aber noch mit im Haus, bis er sich im Jahr 1916 als Freiwilliger zum Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg meldete.
Aber nicht nur das Elternhaus, sondern vor allem die sozialen Verhältnisse in Fürth während der 1920er-Jahre beeinflussten das spätere Wirken von Ludwig Erhard entscheidend. Besonders geprägt haben ihn Inflation und Arbeitslosigkeit. Zustände, die bayernweit in Fürth am höchsten waren.
Doch zurück zur Geschichte des Hauses:
Die Denkmalschützer bezeichnen das Gebäude links im Bild als „dreigeschossiges traufseitiges Wohn- und Geschäftshaus, Sandsteinfassade mit seitlichen Lisenen und Konsolgesims…rückseitig zweigeschossiger Flügelbau in Fachwerk mit Mansarddach…“
Und die ehemalige Stadtheimatpflegerin Barbara Ohm ergänzt in einem Amtsblatt-Artikel aus dem Jahr 1992: „Der Bau des 18. Jahrhunderts wurde 1853 aufgestockt und in seiner Fassade klassizistisch verändert. So sollte das neue, repräsentative Aussehen dem Selbstbewusstsein des Eigentümers und Geschäftsmannes sichtbaren Ausdruck verleihen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde die Fassade aber mehr und mehr verändert und schließlich vernachlässigt. Die Restaurierung von 1991/92 hat den Sandstein wieder freigelegt und hell gemacht, die Schäden behoben und vor allem die für viele Fürther Geschäftseinbauten so charakteristischen gusseisernen Ladenumrahmungen ans Licht gebracht.“
Und nun will man dem Haus, das heute ein Antiquitätengeschäft beherbergt und früher auch einmal eine „Seifen-Lang“-Filiale enthielt, neues Leben einhauchen:
Der „Ludwig-Erhard-Initiativkreis“ möchte das Gebäude – in Ergänzung zu einem geplanten Dokumentations- und Forschungszentrum gegenüber – zu einer Forschungsstätte ausbauen. Der Altbau samt Hinterhaus soll mit Millionenaufwand saniert und wie das Willy-Brandt-Haus in Lübeck zudem als Museum und Gedenkstätte dienen.
Text: Karin Jungkunz mit Unterstützung von Peter Frank
Bilder: Stadtarchiv Fürth