„Häuser erzählen Geschichten“: Unter diesem Titel wollen wir in loser Folge einen Blick hinter die Fassaden von Fürther Häusern werfen, etwas erzählen von den Menschen, die dort gewohnt haben, und zeigen, wie sich über die Jahrhunderte an solchen Orten die Stadtgeschichte entwickelt hat. Dieses Mal geht es in die Fürther Südstadt und die Zeit der Industrialisierung. Dazu hat auch die Abiturientin Viktoria Rieck wertvolle Informationen geliefert, dafür danken wir ganz herzlich. Ein besonderer Dank geht an Peter Frank, von dem ein Großteil der Fotografien stammt. Ohne seine umfangreichen Recherchen hätte der Beitrag so nicht erscheinen können.
Haben Sie schon einmal das Stadtmuseum in der Ottostraße 2 besucht? Da sind sie ausgestellt, die repräsentativen Spiegel aus der sogenannten „Gründerzeit“ Mitte des 19. Jahrhunderts, die Fürth den Titel „Stadt der Spiegel“ eingebracht haben. Damals war so ein Spiegel unverzichtbarer Bestandteil und exklusiver Schmuck einer jeden großbürgerlichen Wohnung. Und diese Kostbarkeiten wurden zu einem Großteil in Fürth hergestellt, dem Zentrum bayerischer Spiegelglasproduktion in dieser Zeit. Im Adressbuch von 1895 werden 77 Firmen genannt, die sich mit der Herstellung und mit dem Handel von Spiegeln und Spiegelglas beschäftigt haben, außerdem etwa 40 Rahmenhersteller und zehn Firmen, die das Belegen der Gläser vornahmen.Noch heute finden wir Spuren solcher alten Spiegelglasfabriken und -handlungen in der Stadt: Schriftzüge über Hauseingängen, verblasste Firmenschilder, alte Fabrikgebäude. Und auch mit dem Erbe dieser Epoche mussten und müssen sich die Fürther auseinandersetzen: Umfassende Sanierungen quecksilberhaltiger Böden und ganzer Gebäude zeugen von dem oft sorglosen Umgang mit dem Nervengift, dessen Auswirkungen auf die Gesundheit recht spät erkannt wurden.
Ehemaliges Wohnhaus und Kontor der Besitzer der Spiegelfabrik Wiederer Foto: Rieck
Eine dieser Spuren führt uns in die Fürther Südstadt. Dort, gleich nach dem Jakobinentunnel, steht die Villa der Gebrüder Georg und Konrad Schwarz. 1888 erbaut, ist sie ein letztes Zeugnis vom Aufstieg und Niedergang der Spiegelfabrik N. Wiederer & Co. Eine spannende Firmen- und Familiengeschichte, die 1859 in der damaligen Friedrichstraße 18 begann und über die Zwischenstation eines Handwerksbetriebs am Helmplatz 7 schließlich mit einem eindrucksvollen Industriebau zwischen Leyher-, Ritter-, Wald- und Kaiserstraße endete.
Doch zurück zu den Wurzeln. 31 Jahre war er alt, der aus Zwiesel in der Oberpfalz stammende Glasschneider Nicolaus Wiederer, als er – nach Lehr- und Wanderjahren – in Fürth 1859 die Genehmigung bekam, sich in der Stadt als Glasschleifer, Glasfacetier, Glas- und Steingraveur niederzulassen. Fast sein ganzes Vermögen investierte er in eine Glasfacetiermaschine und seine ganzen Hoffnungen auf einen erfolgreichen Firmenstart wurden durch die Hochzeit mit der Wirtstochter Katharina Schwarz erfüllt. Sie brachte ein nicht unerhebliches Vermögen und drei uneheliche Kinder (Georg, Konrad und Peter) mit in die Beziehung. Den Umzug der Firma in die Südstadt 1880/81 erlebte Nicolaus Wiederer nicht mehr. Er starb am 17. Januar 1878, seine Stiefsöhne Georg und Konrad Schwarz übernahmen die Geschäfte. Und die konnten sich sehen lassen. Die Nachfrage nach facettierten Gläsern wuchs und wuchs. 1896 beschäftigten die Brüder 600 Mitarbeiter, die Waren der Spiegelfabrik wurden weltweit vertrieben, besonders in den USA fanden sie großen Absatz.
Ein Werbeplakat Quelle: Stadtarchiv Fürth
Man produzierte Hand-, Toiletten- und Luxusspiegel aller Art, Schaufenstergläser, Firmenschilder, Glasschränke, aber auch ganze Glaspavillons für Hotels und Varietés. Auf vielen nationalen und internationalen Ausstellungen wurde das Sortiment vorgestellt, 1876 war die Firma sogar auf der Weltausstellung in Philadelphia präsent und konnte mit einer Reihe von Preisen und Medaillen nach Fürth zurückkehren. Und so war es nur logisch, dass sich die Firmeninhaber, die mittlerweile höchst geachtete Bürger ihrer Heimatstadt waren, 1888 direkt am Firmengelände eine repräsentative Villa bauen ließen und dort auch ihr Kontor betrieben. Schließlich wollte man ja ein Auge auf die Arbeiterschaft haben und kontrollieren, ob der Tag auch pünktlich begonnen wurde. Zudem mussten die Chefs bei Problemen auch immer erreichbar sein.
Die Welt für die Fabrikarbeiter war an der Leyher Straße allerdings nicht so rosig wie die der Auftragsbücher. Eine Sechs-Tage-Woche mit einer täglichen Arbeitszeit von bis zu zwölf Stunden war die Regel, nur am Sonntag hatte man frei. Fehlverhalten oder ein Verstoß gegen die Arbeitsordnung führte schnell zur fristlosen Kündigung. Arbeitsunfälle wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen waren an der Tagesordnung. Eine Absicherung bei Arbeitsunfähigkeit gab es nicht. Der durchschnittliche Lohn von 18 Mark pro Woche reichte kaum zum Lebensunterhalt. Ständig war die Familie gezwungen, am Essen, an der Kleidung oder am Wohnen zu sparen. Dazu kamen die gesundheitlichen Probleme, die durch die giftigen Quecksilberdämpfe beim Belegen der Spiegel entstanden.
Villa und Fabrik um die Jahrhundertwende Quelle: Stadtarchiv Fürth
Um mehr Rechte für die Arbeiter durchzusetzen, organisierten die noch jungen Gewerkschaften auch in Fürth Streiks und Ausstände. So im Mai 1906, als 1700 Arbeiter aus zwölf Spiegelglasfabriken bessere Arbeitsbedingungen forderten. Die soziale Lage verbesserte sich aber auch in unserer Stadt erst mit der Einführung der gesetzlichen Sozialversicherung.
Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs und der Inflation in den 1920er Jahren endete in vielen Fürther Industriebetrieben das „goldene Zeitalter“. So auch in der Spiegelfabrik N. Wiederer & Co.: Nationale und internationale Handelsbeziehungen brachen weg, Auftrags- und Kapitalmangel führten schließlich dazu, dass die Firma 1932 Konkurs anmelden musste. Die Spiegel- und Werkmaterialien wurden vom Konkursverwalter weit unter Wert verkauft, das Fabrikgebäude 1934 zu Wohnungen umgebaut. Geblieben ist nur besagte „Wiederer-Schwarz-Villa“, die sich heute nicht mehr im Familienbesitz befindet.
Im Sommer 1939 zog dann die „Metz-Apparatefabrik“ in die Leyher Straße und füllte das Gelände bis zum Umzug der TV-Geräte- und Möbelproduktion in den 1950er Jahren nach Zirndorf wieder mit neuem Leben. Heute prägt nur noch der imposante Metz-Verwaltungsbau die Ritterstraße, allerdings befindet sich dort mittlerweile die Raiffeisenbank. Die Metz-Fabrikationsgebäude wurden zu Wohnungen umgewandelt und 1998 zog schließlich auch die Verwaltung nach Zirndorf.
Beispiel für einen Venetianer Spiegel Quelle: FürthWiki
Und so endet unsere Spurensuche wieder im Stadtmuseum. Hier kann man das berühmteste Produkt der Firma Wiederer, den Venetianer Spiegel bewundern. Nicht nur diese Rarität ist einen Besuch des Museums wert!
Fotos aus dem Spiegelkatalog von Schwarz&Co, zur Verfügung gestellt von Carry Hubmann, Nachfahrin der Firmengründer