Kürzlich erreichte uns ein Beitrag des Fürthers Gerd Rose, den wir Ihnen nicht vorenthalten wollen. Viel Spaß beim Lesen seiner Erinnerungen an das Evora-Haus!
Mein Blinddarm
Als ich das Evora-Haus – ein repräsentatives Gebäude aus der Gründerzeit – in der
Stadtzeitung sah, kam mir wieder die Erinnerung. Im Erdgeschoss war früher einmal eine
Klinik. Ich glaube eine Frauenklinik; sogar eine Privatklinik. Dort wurde mir als Kind mein
Blinddarm entfernt. Das war ungefähr im Jahr 1948 oder1949. Eigentlich ein einfacher
routinemäßiger Eingriff. Nicht aber für mich. Die Operation habe ich nie vergessen.
Damals trug sich Folgendes zu:
Der Frauenarzt meiner Mutter war Dr. Eugen Gastreich, mit Praxis nahe dem Hauptbahnhof in
Fürth. Ich, damals sieben oder acht Jahre alt, besuchte die zweite oder dritte Klasse der
Volksschule in der Otto-Straße. Immer wieder plagte mich ein leichter stechender Schmerz im
rechten Unterbauch.
Eines Tages nahm mich meine Mutter in die Sprechstunde mit. Dr. Gastreich stellte sofort
fest, dass es mein Blinddarm war der keine Ruhe gab. Damit es aber später zu keinem
überraschenden Durchbruch käme schlug er baldmöglichst eine Operation vor, bei der
mein Blinddarm chirurgisch entfernt werden würde. Am besten gleich in den kommenden
Schulferien, damit ich keinen Lehrstoff versäumte. Sein Bruder – Dr. Fritz Gastreich –
betrieb die Frauenklinik in der Königswarterstraße 52 mit dem er auch gleich einen
passenden OP-Termin für mich festlegte.
Ich war völlig überrumpelt und hatte fürchterliche Angst vor dem Krankenhaus. Zum Trost
erklärten mir meine Eltern mehrfach, wie eine Blinddarm-OP verläuft. Vor allem würde ich
gar nichts spüren da ich ja eine Narkose bekäme. Auf dem OP-Tisch liegend würde ich
aufgefordert von eins bis zehn zu zählen und dabei automatisch einschlafen. Wenn ich
dann wieder aufwache ist alles vorbei. Dann noch zehn Tage Bettruhe zur Wundheilung
und ich dürfte wieder nach Hause.
Mir diesem Wissen bin ich etwas beruhigter an einem späten Nachmittag von meinen
Eltern in der Klinik abgegeben worden. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass ich
einen Raum mit drei Frauen teilte, nichts zu essen bekam und erschöpft vor Aufregung
eingeschlafen bin.
Am nächsten Morgen hatte mich eine Krankenschwester ziemlich spät geweckt und mir
eine Beruhigungsspritze in den Oberschenkel verabreicht. Dann wurde ich in einem
Rollstuhl durch die Gänge zum OP-Saal geschoben. In einem Vorbehandlungsraum, in
dem mehrere Eimer mit Fleischteilen in Flüssigkeiten standen, musste ich mich auf einen
Tisch legen. Vor mir hatten bereits mehrere Operationen statt gefunden und ich war der
letzte Patient an diesem Tag. Heute kann ich mir gut vorstellen, dass sich in diesen
Eimern Kröpfe, Brüste, Gebärmütter und andere Innereien von Frauen befanden.
Ich lag also auf dem Tisch, wurde am Bauch rasiert und eingepinselt. Dann kam der Arzt
mit einer Spritze und stach mindestens acht Mal im rechten Unterbauch rund herum wo
sich ungefähr der Blinddarm befand. Anschließend ging es in den OP-Saal. Auf dem Tisch
wurde ich an Händen und Füßen mit Lederriemen angeschnallt und über meinen Kopf
stellte man ein Drahtgestell, das mit einem Leinentuch überdeckt war. Hier, dachte ich,
wird der Äther drauf getropft. Eine Krankenschwester hielt meinen Kopf. Sie fragte ich
nach einiger Zeit ob ich wohl bis Zehn zählen und einschlafen müsste, was sie mit einem
ruhigen „ja – ja“ beantwortete. Dazu wurde ich aber nie aufgefordert.
Ich wusste nicht, dass man an meinem Bauch bereits einige Zeit lang herum schnippelte.
Nur wiederholt ein leichtes Zwicken spürte ich und später ein Ziehen in Richtung Magen
mit einem starken Hungergefühl. Das ist scheinbar der Augenblick, wo man die Gedärme
etwas herauszieht, um den Blinddarm abzuschneiden. Langsam überfiel mich panische
Angst, weil noch immer keine Narkose wirkte. Ich begann mich aufzubäumen, wurde aber
vom Arzt unter fluchen und schimpfen immer wieder nieder gedrückt. Wir beide vollzogen
einen regelrechten Kampf miteinander. Sogar beim Schließen der Wunde verspürte ich
einige Nadelstiche trotz der örtlichen Betäubung (Lokalanästhesie). Am Schluss,
nachdem ich verbunden und verpflastert war, ließ man mich einfach auf dem OP-Tisch
liegen. Dort bin ich vor lauter Erschöpfung eingeschlafen.
Wie lange man mich da liegen ließ, weiß ich nicht mehr. Mit dem Rollstuhl ging es wieder
in mein Bett zu den drei Damen im Zimmer. Hier wurde ich behandelt wie der Hahn im
Korb. Die Frauen verwöhnten mich mit Schokolade, Früchten und Knabbereien. Wie
bereits erwähnt, handelte es sich um eine Frauenklinik. Außer Ärzten habe ich jedenfalls
keinen Mann gesehen. Auch in den Korridoren wandelten nur Frauen. Damals waren
durchsichtige Nylon-Nachthemden modern und wenn die Damen keinen Morgenmantel
darüber trugen, konnte man ihre weiblichen Kurven erkennen. Schon alleine deshalb war
ich bald wieder mit der Welt versöhnt.
Eine Zeit lang hatte ich noch Beschwerden an der OP-Narbe bis sie endlich verheilt war.
Ich vermute, während ich mich sträubte und aufbäumte, wurde bei der Operation
wahrscheinlich versehentlich ein Blutgefäß durchtrennt.